Konfrontation im Coolness Training


Gewalt beginnt oft im Kleinen. Sie beginnt in Gewohnheiten, Vorurteilen und in Rollenerwartungen und Rollenzuweisungen. Sie entwickelt sich weiter über Verspotten, Missachten und Demütigen, bis hin zu offenen Formen von Gewalt, wie Zwingen, Einschüchtern, Drohen und Misshandeln.

Die pädagogische Arbeit der Fachkräfte in Schule und Jugendhilfe leidet immer noch unter dem Aufklärungsdilemma. Regel- und Normverletzungen durch Gewalt, Rassismus, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit kann nicht nur im Sinne einer rationalen Argumentation durch Information und Aufklärung bearbeitet werden. Unbewusste, verborgene und emotionale Aspekte des Gewalt- Ausgrenzungs- und Abwertungsverhaltens werden dadurch nicht erreicht. Die Argumentation bewirkt bei den Schülerinnen und Schülern keine Verhaltensänderungen. Um Verhaltensänderungen zu ermöglichen, muss die Befindlichkeit und das subjektive Unbehagen des Jugendlichen zum Ausgangspunkt der pädagogischen Interventionen gemacht werden. Die Normverletzung ist die Metapher und damit die Ausgangslage für den Einblick in die Befindlichkeit der Jugendlichen.

Wir intervenieren bereits bei scheinbar kleinen Anlässen. Die Aufforderung eines Gymnasiasten der 7. Jahrgangsstufe, während einer Vertrauensübung den Außenseiter der Klasse fallen zu lassen, wird von uns als Anlass zur Konfrontation genommen. Der Schüler muss für seine sprachliche Unbedachtheit die Verantwortung übernehmen.

Bei Regel- und Normverstößen erfolgt sofortige Konfrontation. Fälschlicherweise wird Konfrontation immer als lärmendes, lautes Spektakel verstanden. Es kann zwar laut werden, aber die leise Konfrontation, die nachdenklich stimmt und betroffen macht, ist häufig die erfolgreichere. Konfrontation will die Gegenüberstellung von Personen, Meinungen, Denkweisen und Sachverhalten. Das folgende Beispiel zeigt eine solche Konfrontation zwischen Grundschulkindern.

In einer 4. Klasse einer Grundschule bearbeiteten wir anhand eines Textes, der den Tagesablauf eines Mädchens schilderte, das Thema Gefühle. Was sind schöne und was sind unangenehme Gefühle? Im ersten Schritt sollten die Schülerinnen und Schüler lediglich diese Differenzierung vornehmen. Während die Trainerin den Text vorlas, hatten die Kinder die Gelegenheit, immer wieder zu unterbrechen und die Gefühle zu benennen. Es folgte der Transfer auf den häuslichen und schulischen Alltag. Die Kinder benannten Situationen, in denen sie ähnliches erfuhren. M., ein freundlicher und lieber türkischer Schüler beschrieb sein unangenehmes Gefühl, wenn er von S., einem deutschen Schüler, in Macker-Manier provoziert wird. Er habe dann Angst vor S. Dies könne er ihm aber nicht sagen. Lieber versuche er ihm auszuweichen.

Zunächst brachte ich beide Jungen in direkten Kontakt. Ich bat S., die provokante, Angst verursachende Situation im Kreis darzustellen. Leicht verlegen, bewegte sich S. breitbeinig und mit gestelzter Brust auf M. zu. M. beschrieb sein Gefühl der Unsicherheit und Verlegenheit und sprach mich dabei an. Ich forderte M. auf mit S. direkt zu sprechen und gab ihm folgende Worthilfen. „….. wenn Du so vor mir stehst, dann habe ich Angst vor dir.“ Weitere Schüler berichteten von ähnlichen Situationen mit S. und vollzogen das gleiche Ritual. Nachdem der dritte Schüler S. die Rückmeldung gab, war dieser kreidebleich geworden und war tief betroffen.

Diese Art von Konfrontation kannte S. nicht. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler reagierten bisher mit ausweichendem Verhalten oder mit Widerstand. Beides entsprach seinem Selbstbild, das nach Macht und Anerkennung suchte. Die Kinder hinterfragten jedoch seine Selbstwahrnehmung und offenbarten, dass sich seine Macht und Anerkennung auf Bedrohung stützte. Er war nicht sehr beliebt.

Bei allen Kindern herrschte tiefe Betroffenheit. Ich fragte, wie wir S. bei diesem Problem helfen könnten. Einige Kinder meinten, man könne sich ja bei ihm entschuldigen, denn man wollte ihn nicht verletzen. Andere waren froh, dass dies endlich einmal gesagt werden konnte. Die angemessene Reaktion zeigte D., ein weiterer „Held“ in der Klasse. Er ging zu S., nahm ihn den Arm und tröstete ihn und war selbst den Tränen nahe.

Alle Anwesenden trafen eine Vereinbarung. S. bemühte sich zukünftig weniger bedrohend zu sein. Sollte es trotzdem wieder geschehen, versprachen die anderen Kinder, ihn an die Vereinbarung zu erinnern.


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